International Alsace Open 2014
Am 01. und 02. März fanden in Schiltigheim bereits zum 18. Mal die Open International d’Alsace, die offenen elsässischen Meisterschaften, statt. An den Alsace Open nehmen regelmäßig auch einige Teams aus dem Ausland teil, üblicherweise aber nur mit wenigen Sportlern. Vor allem im Nachwuchsbereich genießt das Turnier einen sehr guten Ruf. In Frankreich wird es als Ranglistenturnier geführt und ist in erster Linie bei den Kadetten mit meist mehreren französischen Nationalkämpfern pro Gewichtsklasse sehr gut besetzt.
Nicht nur da 2014 zum ersten Mal nach sechs Jahren auch wieder Senioren-Wettkämpfe angesetzt waren, sondern auch weil der Zuspruch in den Alterskategorien bis zu den Kadetten deutlich zugenommen hat, konnte sich die Teilnehmerzahl in diesem Jahr von etwa 250 auf 460 fast verdoppeln.
Der Austragungsort Schiltigheim ist ein relativ kleines und unbekanntes Städtchen, das aber durchaus auch als Stadtteil von Straßburg, der geschichtlich, kulturell, politisch und wirtschaftlich umso bedeutenderen Hauptstadt des Elsass bezeichnen werden könnte. Zahlreiche historische Bauten und Kulturdenkmäler zeugen von seiner wohlhabenden und einflussreichen Vergangenheit. Und auch heute noch wird in Straßburg als Sitz zahlreicher europäischer Institutionen, wie dem europäischen Parlament und dem Europarat, Politik gemacht, die den Alltag von 500 Millionen Europäern beeinflusst.
Das bekannteste Bauwerk ist sicherlich das Wahrzeichen der 500.000-Einwohner-Stadt, das Straßburger Münster, das mit seinem markanten hochaufragenden Turm das Stadtbild von weitem beherrscht. Das Fehlen des zweiten aus finanziellen Gründen nie vollendeten Turms trägt heute zum besonderen Charme der Kathedrale bei.
Aber nicht nur die Christen haben in Strasbourg, so der französische Name der bis zum Ende des zweiten Weltkrieges zu Deutschland gehörenden Metropole, mit dem Münster ein prägnantes Ausrufezeichen gesetzt. Auch die im Mittelalter blühende jüdische Gemeinde, die nach ihrer Vernichtung durch zahlreiche Pogrome und vor allem durch die Tötungsmaschinerie des Nazi-Regimes in den letzten Jahrzehnten wieder an Stärke zugenommen hat, und die durch die Einwanderer aus den ehemaligen französischen Kolonien Nordafrikas bedeutende islamische Glaubensgemeinschaft haben mit der großen Friedenssynagoge bzw. der zweitgrößten Moschee Frankreichs deutliche und stolze Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur modernen französischen Gesellschaft gesetzt.
Schon seit mehren Jahren erhielten wir vom Veranstalter die Ausschreibung mit der Bitte, uns daran zu beteiligen, zugeschickt. Meist scheiterte dies an den üblichen Terminschwierigkeiten. Doch obwohl gerade in diesem Jahr die zeitliche Belastung für international aktive Wettkampfvereine durch einen extrem dicht gefüllten Turnierkalender stark zugenommen hat, gelang es dem Ausrichter eine der wenigen Lücken in unserem Terminplan zu finden.
Genau zwei Wochen nach den Deutschen Meisterschaften und zwei Wochen vor den Dutch Open boten die Alsace Open eine ideale Gelegenheit, ein „Trainingsturnier” ohne die gewohnten deutschen Gegner und den üblichen Punkte- bzw. Credits-Erfolgsdruck, dafür aber mit internationalem Touch und Konkurrenten auf hochklassigem europäischen Niveau zu absolvieren.
Also sagte ich die Teilnahme eines kleinen TKD-Özer-Teams, das zunächst nur aus Chamutal bestand, zu. Vor allem für unsere Kadetten, die für die Teilnahme am Reigen der europäischen WTF-Ranglistenturniere (bis vor kurzem noch als A‑Class-Turniere bekannt) vorgesehen waren, empfahl sich die nur ca. 340 km lange Fahrt zu unseren französischen Nachbarn.
Da sich neben Chamutal auch Melanie und Sebil beteiligen wollten und die Startgebühr mit 10 Euro in einem ganz anderen Bereich als bei den „A‑Class-Turnieren” und inzwischen auch diversen deutschen Turnieren angesiedelt war, meldeten wir auch deren Geschwister Martin und Enes.
Der Ausrichter hatte, wie in Frankreich nicht unüblich, zwischen Jugend C und Jugend B eine zusätzliche Altersklasse eingeschoben (die beiden Altersklassen mit je drei Jahrgängen werden dabei in drei Altersklassen mit je zwei Jahrgängen aufgeteilt), also startete Enes sozusagen bei den „Vor-Kadetten”.
Die Aufgabe des Coachens übernahm ich, das Vorbereiten und Aufwärmen der Sportler war eigentlich bei Amina, Melanies großer Schwester, in guten Händen. Aber leider musste Amina in letzter Minute absagen, da sie ihre Chefin wegen Personalmangels trotz des Antrags auf Beurlaubung an beiden Wettkampftagen eingeteilt hatte. Also mussten sich die drei erfahreneren Mädchen mit um die Kleineren, vor allem Martin, kümmern. Auch Sebils Vater Uğur half beim Aufwärmen mit.
Am Samstag, dem ersten Wettkampftag, waren die Kämpfe der Jugend A und der Senioren angesetzt, die jüngeren Alterskategorien kämpften alle am Sonntag.
Ursprünglich sollten die Wettkämpfe um 9 Uhr beginnen, sie waren aber wegen der hohen Teilnehmerzahl um 45 Minuten vorverlegt worden, was den Teams einige Tage vorher per E‑Mail mitgeteilt worden war. Durch diese Maßnahme und das Weglassen der Mittagspause, konnte das Turnier wie vorgesehen gegen 17 Uhr beendet werden. Bei der Waage am Samstagabend kamen alle ohne Schwierigkeiten durch – außer Sebil, die in Vorbereitung auf ihre Gewichtsklasse für die Kadetten-Weltmeisterschaft im Juli bei ‑41 kg antreten und damit nach der Abnahme von 3 kg bis auf 44 kg für die deutsche Meisterschaft weitere 3 kg abnehmen wollte. Nachdem sie diese schwere Aufgabe tatsächlich geschafft hatte, fehlten ihr schließlich nur noch 100 Gramm. Die strengen französischen Kampfrichterinnen schickten sie zum Laufen und gaben ihr eine halbe Stunde Zeit. Mit letzter Kraft versuchte sie noch das verbliebene bisschen Übergewicht abzuschwitzen und war schließlich unter Einsatz ihres letzten Hemdes (im wahrsten Sinne des Wortes) am Ziel.
Im örtlichen Vapiano wurden dann die völlig leeren Kohlenhydrat-Reservoirs wieder aufgefüllt und anschließend hieß es für die Wettkämpfer früh ins Bett gehen.
Auf alle unsere Sportler wartete extrem starke Konkurrenz.
In Melanies Gewichtsklasse befand sich die mehrfache A‑Class-Medaillengewinnerin und mit unserer Hilfe frischgebackene italienische Meisterin Tatiana Miccoli.
Bei Sebil traten ihre A‑Class-Dauer-Gegnerin und schärfste Mitbewerberin um den letztjährigen Europameisterschafts-Titel Iman Couvilliers sowie deren Mannschaftskameradin Tiavo Randrianisa an. Und Chamutal konnte Bekanntschaft mit zwei erfahrenen A‑Class-Teilnehmerinnen machen, die bereits mit ihr bei den anstehenden Dutch und Belgian Open gemeldet waren. Aber auch die Jungs hatten es mit erstklassigen Nachwuchskämpfern zu tun, so zum Beispiel dem kleinen Bruder von Sarah Adidou, der Kadetten-Europameisterin 2011 und Zweiten der Jugend-Europameisterschaft 2013.
Die Wettkämpfe wurden auf fünf Flächen in der neuen oktogonalen Form und in einem ungewohnten Farbdesign (blau/grün statt blau/rot) ausgetragen. Die Coachstühle waren statt wie üblich an zwei gegenüberliegenden Seiten nebeneinander an einer Seite der Flächen angeordnet.
Für alle Alterskategorien, auch für die jüngsten Teilnehmer ab acht Jahren, kamen die elektronischen Westen von Dae do zum Einsatz. Zusätzlich zum Kampfrichter in der Mitte saßen zwei Kampfrichter am Drückersystem. Die Kampfrichter zeigten durchweg sehr gute Leistungen. Die Kampfnummern wurden nur direkt an den Wettkampfflächen angezeigt, ein zusätzlicher Monitor im Zugangs- und Kontrollbereich war nicht vorhanden. Die Wettkämpfer, die sich zur Kontrolle begeben sollten, wurden stattdessen über die relativ gut verstehbare Lautsprecheranlage aufgerufen.
Während der Coachbesprechung vor Beginn der Wettkämpfe wurde bekannt gegeben, dass für die „Vor-Kadetten” sowie die jüngeren Jahrgänge keine Kopftreffer zugelassen waren. Ein leichter bzw. versehentlicher Kopftreffer würde mit einem Kyong-go (Verwarnung und halber Strafpunkt), ein „richtiger” Kopftreffer mit einem Gam-jeon (voller Strafpunkt) bestraft, zwei „richtige” Kopftreffer in einem Kampf hätten die sofortige Disqualifikation zur Folge. Diese Regeln, die dem Schutz der Kinder dienen sollten, waren leider nicht bereits in der Ausschreibung mitgeteilt worden.
Alle bis auf Enes, der fünfmal auf die Matte musste, hatten drei Kämpfe zugelost bekommen.
Enes brachte seinen ersten Kampf mehr schlecht als recht hinter sich, im zweiten wurde ihm aber das Kopftreffer-Verbot zum Verhängnis. Er lag knapp zurück und hatte sich trotz fortwährender Anweisungen, dies zu unterlassen, mit diversen Schubsern und einem Kopftreffer schon dreieinhalb Minuspunkte eingehandelt, als ihm gegen Ende des Kampfes der Ausgleich gelang. Während sich die Zuschauer schon auf die Golden-Point-Runde einstellten, überraschte sie Enes mit einem sauberen Kopftreffer und der daraus resultierenden Disqualifikation.
Ähnlich lief es bei Martin. Er hatte seinen ersten Kampf überlegen gewonnen und lag auch im zweiten klar vorne, als er einen Dwit Chagi gesprungen ausführte und dabei aus Versehen den Kopf des Gegners traf. Das war noch kein „Beinbruch”, da er sich ansonsten keine Verwarnungen zu Schulden kommen lassen hatte. Trotz aller Ermahnungen vor dem Kampf und in den Pausen, auf keinen Fall einen weiteren Kopftreffer anzubringen, wiederholte er kurz vor dem Ende des Kampfes klar in Führung liegend seinen gesprungenen Dwit Chagi und versetzte seinem Gegner den zweiten Kopftreffer mit der Folge der sofortigen Disqualifikation. Martin musste sich also mit Bronze begnügen, während sein Gegner später noch das Finale gewann und Erster wurde.
Für den Fall, dass zwei unserer Sportler gleichzeitig antreten mussten, hatte ich den Schweizer Nationalkämpfer Mehdi Amhand, der gut Deutsch spricht und wie sein Vater Abdenbi, Präsident des Schweizer Taekwondo Verbandes, als Coach für ihren Verein Taekwondo Riviera vor Ort war, gefragt, ob er uns im Bedarfsfall aushelfen könnte, und er hatte sich gerne dazu bereit erklärt. Nachdem es zweimal beinahe schon so weit gewesen wäre, trat dann schließlich bei Melanies erstem Kampf genau dieser Fall ein: Sie musste auf die Kampffläche, bevor Chamutals gerade laufender Kampf zu Ende war. Da ein Coach-Wechsel in der Pause nicht zugelassen war, wurde Melanie also während des gesamten Kampfes von Mehdi gecoacht. Ihre Gegnerin war die Zweitplatzierte der französischen Kadetten-Meisterschaft, Yasmine Rehani. Melanie unterlag ihr deutlich, wenn auch ein oder zwei Kopftreffer der Französin, die später den zweiten Platz belegte, nicht ganz unumstritten waren. Siegerin in Melanies Kategorie wurde die Schweizerin Tatiana Miccoli, die eine Woche zuvor mit unserer Vermittlung bei den italienischen Kadetten-Meisterschaften angetreten war und sich den Titel geholt hatte.
Chamutal konnte ihren ersten Kampf vorzeitig für sich entscheiden und traf dann im Halbfinale auf Imani Sitti, eine große und athletische Sportlerin, die bei der französischen Kadetten-Meisterschaft den zweiten Platz belegt hatte.
Die beiden lieferten sich einen sehr harten Kampf, den die Französin schließlich mit 3:1 gewann. Chamutal musste sich anschließend mit blauen Flecken und Beulen übersät wegen einer schmerzhaften Hüftprellung von den Sanitätern behandeln lassen. Ihre Gegnerin unterlag später im Finale ein weiteres Mal der Erstplatzierten der französischen Kadetten-Meisterschaft, Lindsay Fulbert.
Sebil war ihrer ersten Gegnerin so klar überlegen, dass sich ihr Coach gezwungen sah, das Handtuch zu werfen. Im zweiten Kampf traf sie auf die französische Kadetten-Meisterin in der Gewichtsklasse ‑37 kg, die sie ebenfalls schlagen konnte, zwar knapp, aber dennoch ungefährdet. Das Finale bestritt sie nicht wie eigentlich erwartet gegen die französische Kadetten-Meisterin und ihre EM-Gegnerin Iman Couvilliers, die zwar bei ‑41 kg gemeldet war, aber dann bei ‑44 kg antreten musste und dort in den Vorkämpfen ausgeschieden war. Stattdessen traf sie auf die Zweitplatzierte der französischen Kadetten-Meisterschaft, Tiavo Randrianisa, die zwar bei den Kadetten Iman unterlegen war, sie aber bei der französischen Jugend-Meisterschaft geschlagen hatte.
Tiavos Finalkampf gegen Sebil war der meistbeachtete Kampf des Tages. Für Sebil war dies zwar in erster Linie ein Trainingskampf, für die Franzosen war es aber die Gelegenheit zu sehen, wie gut sich ihre Sportlerin gegen die amtierende Europameisterin schlagen würde.
Gleich zu Beginn des Kampfes zeigte das System äußerst fragwürdige, wohl durch leichte Wischer über die Weste verursachte drei Punkte gegen Sebil an. Bei einem Punkt schien sogar Sebil und nicht ihre Gegnerin den Treffer angebracht zu haben. Nach dieser unschönen Eröffnung funktionierte aber wieder alles korrekt. Dadurch dass Sebil dem Rückstand hinterherlaufen und deshalb fortwährend in die Offensive gehen musste, nahm der Kampf aber natürlich einen anderen Verlauf als geplant. Drei versuchte Kopftreffer, zweimal als Dollyo Chagi und einmal als Pandae ausgeführt, verfehlten nur sehr knapp ihr Ziel und hätten jederzeit den Kampf zu Sebils Gunsten entscheiden können. So aber gewann zur Freude ihres Coaches, des französischen Jugend-Nationaltrainers Hans Zohin, Tiavo das erste, aber sicher nicht letzte Aufeinandertreffen der beiden Top-Sportlerinnen.
Nach dem Ende des Finalkampfes jeder Kategorie wurde die Siegerehrung mit Aufrufen der Medaillengewinner, Umhängen der Medaillen und Fotos auf dem Treppchen vorgenommen.
Wir gratulieren allen Medaillengewinnern und werden, falls es dem Ausrichter wieder gelingt, einen günstigen Termin zu finden, gerne auch im nächsten Jahr an diesem vor allem im Kadetten-Bereich absolut hochklassigen Turnier teilnehmen.
Fotoalbum vom 2. Tag (Wettkampftag) auf der Facebook-Seite von TaeKwonDo Özer
International Alsace Open 2014 in Schiltigheim, Frankreich, am Samstag, 01.03.2014 und Sonntag, 02.03.2014: | ||
Melanie Felix | JBw-37 | - |
Sebil Kaya | JBw-41 | 2. Platz |
Chamutal Castaño | JBw-47 | 3. Platz |
Martin Felix | JCm-24 | 3. Platz |
Enes Kaya | JC/Bm-37 | - |
(26.07.2014 Alfred Castaño)